Runners of Steel

Beim größten Hindernislauf in der Dunkelheit der Welt. Inmitten einer Stadt aus Eisen…

„Nichts geht über Qualität beim Material“.

Während ich den Satz so denke, stelle ich mir vor, dass irgendein Baumarkt das mal als Werbespruch gebracht haben muss. Anders kann ich mir diesen prominenten Platz dieses Spruchs in meinen Synapsen nicht erklären. Denn sind wir mal ehrlich: Nur die wenigsten fundamentalen Wahrheiten formulieren wir selbst. Meistens hat man es irgendwo her.

Wie leite ich jetzt nur über? Google spuckt bei der Suche nach Qualität und Material nur Informationen zum eigenen SEO-Qualitätsindex aus, Wikipedia verweist auf die ISO-Normen, und Norma auf Küchenfronten. Selbst slogans.de weiß nicht weiter. Sind sie zu stark, bist Du zu schwach. Moment, da haben wir es ja schon: Fishermans Friend. Der Lutschpastillenhersteller aka Lofthouse of Fleetwood Limited. Es geht mir hier ja um ihren Lauf.

Go big. Go dark. Go heavy.

Zum StrongmanRun am Nürburgring (big) hatte ich euch ja schon im Frühsommer ein bisschen was berichtet. Weil Hindernisläufe im Allgemeinen und der #SMR im Besonderen immer beliebter werden, macht das Beispiel nicht nur europaweit schlammige Schule. Mit Ferropolis feierte im vergangenen Jahr der zweite deutsche Lauf Premiere (dark). Und weil aller guten Dinge nun mal drei sind, wird´s zusätzlich ab Sommer 2016 in Wacken richtig heavy.

Mitte August ging es also nach Dessau. Genauer gesagt: Gräfenhainichen. Die kleine Gemeinde liegt rund 15 Kilometer von Dessau entfernt. Wem beides nichts sagt: Lutherstadt / Wittenberg. Und wem das nichts sagt: Magdeburg bzw. Leipzig. Sachsen-Anhalt. Neues Bundesland. Östlich von Nordrhein-Westfalen, quasi kurz vor Berlin nur noch durch Brandenburg getrennt.

Und wo wir schon bei Berlin sind (das muss ich jetzt einfach abhandeln, weil es auch sonst durch die thematischen Vermischungen an keiner weiteren Stelle sinnvoll passen wird): Dieses Wochenende war das reinste Mashup. Also eine (Re-)Kombination bereits bestehender Inhalte oder Erfahrungen: Spätestens der frühere Grenzübergang Marienborn / Helmstedt (heute eine profane Mischung aus Parkplatz, WC, Raststätte und Gedenkstättchen) fühlte ich mich doch sehr an die Unternehmungen 2011 im Rahmen des Berlin-Marathons erinnert.

Die sächsischen Seychellen

Das war aber nur der Anfang in Sachen Déjà-vu: Weil sich Ferropolis auch durch wuchtige Industriekultur auszeichnet, die noch dazu in der Dunkelheit wunderschön atmosphärisch farbig ausgeleuchtet wird, weckte das Erinnerungen an Speed of Light Ruhr. Dito die Streckenführung, doch dazu ebenfalls gleich mehr. Und angesichts einer tropischen Nacht fieberte ich mir auf den ersten Kilometern der Strecke gedanklich schon was von wegen „Sächsische Seychellen“ zusammen.

Doch ich greife vor. Wir waren bei der Anfahrt. Die hatte es in sich. Bekanntermaßen sitzt der Amerikaner die 310,69 Meilen morgens zum Brötchenholen auf einer Arschbacke ab. Dem Deutschen fällt eine Fahrt von 500 Kilometern schon viel schwerer. Bereits aufgrund von prognostizierten Superstaus Richtung Norden. So etwas kriegt man halt von dicht besiedelter und am Wochenende durch reichlich Regen besudelter Kulturlandschaft. Glücklicherweise bestanden die einzigen Hindernisse aus drei Straßensperrungen im Umfeld von Magdeburg. Im Gegenzug gab es eine angemessen kurze Irrfahrt durch ein kleines Bilderbuchdorf. Für Locationsscouts auf der Suche nach verträumten Nestern steht Güls völlig zu Recht auf einer Stufe mit Fatschenbrunn (Förderer der traditionellen Hutzelkultur) oder Uhlenbusch (nichts Neues).

Eigentlich macht man das viel zu selten. Denkt viel zu sehr in kurzen und bequemen Distanzen. Schränkt sich selbst durch den kleinen Aktionsradius ein. Denken Sie groß, singt Deichkind. Denn schon der Weg das erste Ziel. Man sieht was vom Land und kann hervorragend gleich mehrere lange Podcasts hintereinander hören. Auch in Gedanken auf die Reise gehen – oder was für seine Bildung tun. Zum Beispiel mit dem Segelradio von Hinnerck Weiler, den Interview-Podcasts von Tim Pritlove oder Holger Kleins WRINT. Langeweile ist bei der Autofahrt jedenfalls nicht das Problem. Allenfalls, dass es noch an einem Lauf- und Sportpodcast fehlt.

T minus 7 Stunden

Jedenfalls kam ich am Nachmittag eines sonnigen Samstags Mitte August im Hotel an. Das Dessauer Days-In. Auf dem Programm stand nur sieben Minuten später ein Treffen mit der Crew des heutigen Abends: Glückliche Gewinner, aerodynamische Ambassadore und unsere bewährten Bewegungshelfer von Brooks, aka Bengü, Phillip und Christian.

Erste Vorbesprechung und noch etwas Freizeit, bevor es nach digestionsbedingt frühem Abendessen um 17:30 Uhr in Richtung Veranstaltungsgelände gehen sollte. Start des Laufs: 22:00 Uhr. T minus 7 Stunden.

Das mag nach viel Zeit klingen. Doch sie verging sprichwörtlich wie im Flug: Nach der kurzen Vorbesprechung stand die Zeit bis zum Dinner jedem der Läuferinnen und Läufer zur freien Verfügung. Quasi frei wie ein Vogel machte ich mich mit dem Multicopter auf nach Ferropolis. Die Wetterlage war ein wenig unstet, eine tropisch anmutende Mischung aus drückendem Sonnenschein und dichten Regenwolken, spätere Schauer nicht ausgeschlossen.
15 Kilometer Strecke zwischen Hotel und Beginn des Eventgeländees waren auf der schnurgeraden Landstraße schnell geschafft. Die avisierte Stadt aus Eisen liegt vom zentralen Parkplatz jedoch noch rund 2,5 Kilometer entfernt, eine direkte Zufahrt war nicht möglich. Also Auto geparkt, Drohne im Rucksack geschultert, Fotorucksack gepackt und abmarschiert. Abgefahren: Zwar gab es einen Shuttleservice, doch der pendelte zu so früher Stunde gerade mal stündlich ab der (thermodynamisch völlig korrekt betitelten) Haltestelle „Tropical“. Ich sag´s ja: Seychellen.

Haltestelle Tropical

The long walk

Als Läufer liebt man ja auch längere Spaziergänge. Die erste richtige Bewegung des Tages tat gut. Nur wollten die riesigen Bagger da hinten am Horizont einfach nicht schnell genug näherrücken. Mittlerweile deutlich nach 16:00 Uhr musste ich ja ja irgendwann noch mal ankommen, mich auf dem Gelände orientieren, die weiße Taube in den Himmel schicken, von oben und unten fotografieren, einpacken und wieder abhauen. Wenn der Hinweg zuzüglich Rückfahrt jetzt schon 30 Minuten dauert, dann bleibt für die Manöver, Moment, genau null Minuten. Das ist wirklich wenig Zeit.

Als erstes Ergebnis dieser Überschlagsrechnung beschleunigte ich den Schritt. Und überlegte mir, die ohnehin bereits aus chinesischer Produktion stammende Drohne konsequent in „langer Marsch“ umzutaufen (im Sinne der chinesischen Kommunisten bzw. des gleichnamigen Raketenprogramms,weniger angelehnt an Stephen King´s Buch „Todesmarsch“ (im Original: The long walk), obwohl das natürlich auch eine irgendwie passende Analogie wäre). Rechts und links des Weges informieren Schilder darüber, dass Unbefugten das Schwimmen im renaturierten See verboten sei. Den tautologischer Charakter des Schildes habe ich hinterher übrigens bei der der Museums- und Veranstaltungsgesllschaft krisiert. Ergebnislos.

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Stadt aus Eisen

Nichtsdestotrotz verging die Zeit wie im Flug, wenig später war das eigentliche Eventgelände erreicht: Ferropolis ist ein eindrucksvolles Beispiel der beinahe schon obsessiven Liebe zur eigenen Industriekultur. Die ausgestellten eisernen Relikte des früheren Braunkohletagebaus Gronau, der Anfang der 60er Jahre des früheren Jahrtausends bis Mitte der 70er den Brennstoffhunger zweier nahegelegener Kraftwerke speiste, ragen inmitten der unschuldig anmutenden Natur bis zu 30 Meter in die Höhe. Bei einer Länge von bis zu 120 Metern und einem Gewicht von maximal rund 2.000 Tonnen. Wuchtige Optik irgendwo zwischen Garzweiler II und Krieg der Sterne. Oder wie The Guardian in London lobte:

„Die Kräne sind furchterregend schön, in den Himmel aufragend wie gotische Spitztürme. Wenn es dunkel wird, werden sie mit üppigem Licht bestrahlt und wirken so gefährlich wie anziehend.“

Von den schier gigantischen Dimensionen geht eine faszinierende Anziehungskraft aus. Es täuscht nicht darüber hinweg, welche ökologischen Folgen die Arbeit der Maschinen für die Landschaft hatte. Andererseits markiert ihre Erstarrung durch die Außerbetriebnahme und Ausstellung den Beginn einer ganz neuen Epoche. Insofern das 1995 eröffnete Freiluftmuseum „Ferropolis“ zum Symbol geworden für eine post-industrielle Achtsamkeit am Beginn eines neuen Jahrtausends.

In dieser Gegenwart wird gefeiert: Auf internationalen Festivals wie Melt! (Electro, Rock) und splash! (Hip-Hop) genau wie bei großen Konzerten von Herbert Grönemeyer bis Metallica. FERROPOLIS hat mittlerweile europaweit einen guten Ruf als einmalige Kulisse für Künstler und Publikum. Kulturell spielt hier quasi die Musik.

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Der Kompass-Tanz

Ein Umstand, der das mitgeführten Fluggerät alles andere als kalt lässt. Regelrecht elektrisiert von der massiven Präsenz früherer Montanindustrie bittet es zum Tänzchen. Einem Kompasstänzchen. Das hat mit der verbauten Technik im Inneren zutun, die sich am Erdmagnetfeld orientiert, und durch magnetische Interferenzen (zum Beispiel durch Sonnenstürme oder eben metallische Objekte in der Nähe) gestört werden kann.

Um einem ungewollten Verhalten des Geräts während des Fluges vorzubeugen, kalibriert man den Kompass mittels je einer 360-Grad Drehungen um zwei Raum-Achsen neu. Von außen betrachtet sieht es aus wie schamanisches Ritual. Genaugenommen ist es das auch, weil man damit Mutter Erde und sein eigenes Tun in Einklang bringt, und Schaden möglichst abwendet. Nur beschwört man halt keine Geistern, sondern das Erdmagnetfeld. Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist halt von Magie nicht mehr zu unterscheiden – sagte schon Arthur C. Clarke.

Normalerweise ist das mit zwei manuellen Kreisdrehungen der Drohne auf der horizontalen und longitudinalen Achse abgefrühstückt. Aber nicht heute. Statt einer Minute brauchte ich diesmal zehn, zuzüglich kleinen Standortwechsels. Schon als Läufer legt man im Angesicht der Freuden des Laufsports ein gesundes Selbstbewusstsein an den Tag. Hose zu tight, Farben zu schrill? Völlig egal. Okkult anmutende Ganzkörperdrehbewegungen auf der Stelle haben einen ähnlichen Effekt auf die Psyche. Man bleibt wirklich sehr bei sich selbst. Schon alleine, um nicht zu sehen, wie die anderen vielleicht gucken.

Endlich in der der Luft blieben dann angesichts des engen Zeitplans am Nachmittag nur noch wenige Minuten für die ersten Bilder, bis ich zurück zum Auto aufbrach, um den Rest des Abends vor dem Lauf mit der Mannschaft im Hotel beim Abendessen zu beschließen. Das Fettuccine-Finish auf unseren Tellerchen irgendwo um 18:00 Uhr bot satte 4 Stunden Vorlauf vor dem Startschuss. Denn wer läuft schon gern mit vollem Magen?

Max Max, Medusa, & Mosquito

Pünktlich zum Sonnenuntergang gegen 20:30 Uhr waren wir dann alle an den Baggern versammelt. Genügend Zeit für weitere Luftbilder und ein Warmup beim Sundown. Unser Lager haben wir unter „Mosquito“ aufgeschlagen, dem eindrucksvollen Raupensäulenschwenkbagger gegenüber der Orangerie. Nicht nur deshalb strahlten unsere Shirts beim Gruppenfoto aka Springbild so schön. Der Ausblick in die Arena und die angestrahlten Medusa (einteiliger Absetzer), Mad Max (Eimerkettenbagger) und Gemini (zweiteiliger Absetzer) war einfach atemberaubend.

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Zunehmend füllte sich das Gelände mit Teilnehmern und Gästen. Aufstellung in der Arena, am Fuße der Tribünen vor Medusa. Noch 20 Minuten bis zum Start. Geschlossen gehen wir in den abgesperrten Bereich unmittelbar an der Startlinie. First Fifty. Rechts neben mir stets das Brooks Getting Tough Team, dessen „Kampfmaus“ Sara Kamzela später das Rennen als Siegerin bei den Damen für sich (beziehungsweise uns, so viel Teamgeist bzw. Metrosexualität muss sein) entscheiden wird.

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Ferropolis

Run Happy ./. Getting Tough

Kurz zur Unterscheidung: Wir vom Brooks Run Happy Team sind nicht gerade Kinder von Traurigkeit. Sagt ja schon der Name. Das Brooks Getting Tough Team hingegen ist sportlich aus ganz anderem Holz geschnitzt. Das „Getting“ könnten sie sich eigentlich sparen – sie SIND tough. Das reicht ihnen aber nicht, sie wollen noch tougher werden. Eigentlich müssten sie also Getting Tougher heißen. Mit Erfolg: Kein anderes Cross-Hindernisteam in Europa hat so Plätze auf dem Siegertreppchen und Titel wie sie errungen.. 90 Mitglieder rund um das Kernteam von Markus Ertelt. Teamfarbe entsprechend Schwarz-Gelb für Gefahr. Das Orange unseres Teams wohl eher neben der Abendröte des SonnenUNTERGANGS die Farbe der Köpfe beim Zielsprint Pate stand.

Die letzten Minuten vor dem Start feiern und faxen wir ordentlich am Start herum. Adrenalingetränkte Vorfreude. Vor den Ordnern, dem Moderator, den Kameras und der Zeitmessmatte. Musikalisch ist es wieder ein Déjà-vu zum Nürburgring. Wohlmöglich gibt es nur diese eine Musikkassette. Immer Rock. Ich will mich nicht beklagen, die Hände flogen trotzdem, Electro oder was Episches wie von James Horner oder Daft Punk wäre nur eher meins. Immerhin brachten sie auszugsweise Smack My Bitch Up von The Prodigy. Auch schon fast 20 Jahre her. Dennoch zeitlos.

Es bleibt keine Zeit mehr, versonnen den Gedanken an die angelsächsischen Breakbeat-Pioniere der 90er (beziehungsweise Bitch) hinterherzutanzen. Der Startschuss peitscht durch die Nacht. Mottengleich stieben wir voran die die Dunkelheit, die unmittelbar hinter den Kameras im hellen Scheinwerferlicht des Start lauert. Blitze zucken durch die Arena, über uns entfaltet sich ein Höhenfeuerwerk, dessen Leuchtkraft die skelettalen Silhouetten der Schaufelradbagger in den Himmel stanzt.

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Smack by bitch up

Dummerweise machen wir genaue Gegenteil davon, was man üblicherweise bei einem Feuerwerk in einer tollen Kulisse so macht. Scheinbar braucht mein Gehirn eine Sekunde zum umschalten, allein auf dem ersten Meter der Strecke gebe ich zwei Meter ab. Die 3:30er Pace der Spitze ist mit meinen Beinen nicht lange machbar. Leichte Steigung, kleiner Sprung und eine Ebene voll Sand saugen die Kraft aus den Beinen und der Lunge. Mit rasendem Puls und keuchendem Atem falle ich zurück.

Schon auf dem nachmittäglichen Spaziergang ahnte ich, was uns blüht: Der Acker der Atemlosigkeit. Das einzige, was hier noch wächst, sind Lichtpilze. Und selbst die brauchen einen Generator.

Schier endlos zieht sich die Strecke über das Feld. Der schweigsam flotte Trott in der Dunkelheit erinnert an die langen Dauerläufe zwischen den Locations bei Speed of Light Ruhr. Die schwülwarme Hitze an die Seychellen. Und die Lichtpilze an eine Nahtoderfahrung, jedenfalls wenn man erst eine Weile vor ihnen weglief, um an einer Kehre anschließend wieder auf sie zu zu laufen. Hakenschlagend wie die Hasen. Zwar läuft nicht auch noch mein ganzes Leben in diesem Moment an mir vorbei, dafür zahlreiche weitere Teilnehmer. Mein zweischichtiges Dress war, natürlich, ein zweischneidiges Schwert: Schnittiger Look mit weißem Langarmhemd und Krawatte einerseits, thermische Katastrophe andererseits.

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Die Pfützen sehen gemütlich aus

Zum Glück gab sich das mit der Zeit. Mittlerweile habe ich an genug Läufen teilgenommen, um solche Allüren meines Körpers richtig einzuordnen. Aufgeben ist keine Option. Abkürzen auch nicht, auch wenn sich die Streckenbauer diesmal richtig Mühe gaben, die Verlockung möglichst groß zu machen. Sechsfach parallele Gegengeraden! Ein kleiner Schritt für mich, ein großer Schritt im Gesamtklassement. Doch die Pfützen sahen einfach zu gemütlich aus. DIE PFÜTZEN SEHEN GEMÜTLICH AUS! Schrie jedenfalls immer wieder jemand im Feld, was mich unwillkürlich auflachen ließ. Hat man auch nicht oft. Als Läufer lächelt man ja eher buddhaesk in sich hinein. Auch wenn das von außen gar nicht so aussieht!

Der wahre Gegner in Ferropolis ist neben dem inneren Schweinehund also tatsächlich die Dunkelheit, die das Feld gefühlt regelrecht frisst. Frisst und verschluckt. Sämtliche Hindernisse sind gut ausgeleuchtet, allerdings in ihrer Zahl, Höhe und Härte nicht mit der großen Ausgabe des StrongmanRuns am Nürburgring zu vergleichen. Gräfenhainichen (oder „Graf Stahl“, wie es in aristokratischen Kreisen gern genannt wird) ist damit dennoch offiziell Austragungsort des größten nächtlichen Hindernislaufs der Welt. Zugegeben: bei dieser Passage wäre die Sache auch als 1. Dessauer Ackerlauf durchgegangen. Trotzdem muss man sich das vor Augen führen, falls man überhaupt was sieht. Denn die letzte lange Gerade in Richtung illuminierter Arena hatte es in den Kategorien Dunkelheit und Monotonie erneut ganz schön in sich. Spätestens hier wird einem schwarz vor Augen.

Vermutlich nur deshalb lauert am Ende das (strahlend weiße) Schaumhindernis. Um uns zu blenden und nochmal richtig rauszuputzen. Je nach Geschwindigkeit für ein sauberes Finish oder den Einlauf in die zweite Runde. Dreckspatzen kommen damit nur bedingt auf ihre Kosten und ich selbst verwarf daraufhin die sorgfältig im Vorfeld überlegte Überschrift „Fifty Shares of Brown“ für diesen Beitrag.

Round 2. Fight!

In der zweiten Runde lief es besser. Je näher es auf Mitternacht zuging, desto geringer die Außentemperatur. Strecke und Hindernisse soweit bekannt, mehr als die Hälfte der Gesamtdistanz von rund 20 Kilometern geschafft. Solche ausdauerfördernde Gedanken sind wichtig, um nicht nur durchzuhalten, sondern auch noch mal richtig Gas zu geben. Konzentration auf die Füße, obwohl es immer schwerer fällt. Auf dem Sand scheint es, als bestünde er aus winzigen Legosteinen, die sich stetig neu anordnen. Nochmal über den riesigen Acker, das Licht im Rücken, rechts und links Läufer, die in die entgegengesetzte Richtung rennen, weil die Strecke mehrfach gegenläufig angelegt ist. Ein bizarres Gewusel inmitten der Nacht, der schwarze Himmel überspannt das Geläuf, vereint uns im Schmutz und Schlamm und Schweiß.

Ein letztes Mal über jedes Hindernis. Den Strom und den Schaum genießen, die Knie über den Kiesel schleifen, durch das hüfthohe Wasser im See ankämpfen, erneut in das verheißungsvolle, schlammig-braune Becken unmittelbar vor dem Ziel sausen. Dann ist es nach 2 Stunden und 2 Minuten vollbracht. Meilenweit weg vom Sieger Thomas Witwer, der den Track in weniger als 1 Stunde und 13 Minuten bezwang (01:12:56). Die Siegerin bei den Damen: Sara Kamzela vom Brooks Getting Tough Team, 01:25:57. Schnellstes Team ebenfalls Getting Tough Team 1, bestehend aus Lucas Kempe, Marcel Hösche und Yannick Bolesch.

Der wilde Osten

Als Zielbereich diente analog zum Start die Arena, umringt von der beeindruckenden Baggerkulisse. Eiskaltes Siegerbierchen unter Flutlicht – neben jeder Menge nackter Hintern neben den Freiluftduschen. Wilder Osten! Manche der mitlaufenden Mädels bezeichneten die Auf- bzw. Ausstellung gar als, entschuldigt, Schwanzparade. So genau könnte ich das gar nicht sagen. Keiner der Trabanten wäre mir in Erinnerung geblieben. Vielleicht habe ich nur nicht genau geschaut. An der Dunkelheit liegt es jedenfalls nicht, die Open Air Arena ist hell erleuchtet, schon alleine wegen der zahlreichen strahlenden Gesichter im Ziel.

Anschließend im tüchtig nassen Dress bei Brooks mit dem Rest des Teams wiedergetroffen, und das Erlebte im gemeinsamen Gespräch aufgearbeitet. Die Kamera geschnappt, und einen rund einstündigen Photowalk auf dem Gelände unternommen. Trockene Sachen wären am Ende eine gute Idee gewesen, weil der Kohlenhydratemangel im Körper in Verbindung mit den mittlerweile nur noch 16 Grad (und klammen Klamotten) doch für ein unkontrolliertes Zittern sorgte.

Zuckend gegen 02:30 Uhr den Shuttlebus zurück zum Parkplatz genommen, die Wärme im Auto genossen, und zurück zum Hotel gedüst. Am Eingang saß direkt eine kleine lokale Läufergruppe erschöpft auf dem Boden. Wissend nicken wir uns zu und wünschen uns gegenseitig eine gute Nacht. Im Zimmer dann komme ich zwar gut unter, aber keinesfalls richtig runter. Stattdessen wird der Dreck lieber im Spiegel bewundert, die, sagen wir mal, Wunden untersucht, und der Versuch unternommen, erste Bilder per WLAN in der Kamera auf das Handy zu übertragen. Die Technik steckt nicht gerade in den Kinderschuhen, sondern eher in Babysöckchen.

WLAN is no option

Jedenfalls klappte der Transfer bis 04:00 Uhr in der Frühe nicht, und irgendwann muss man auch mal schlafen. Jedenfalls wenn wenige Stunden später ein ausgiebiges Frühstück lockt, und noch eine eine lange Rückfahrt von rund 500 Kilometern ansteht. Als Läufer wurmt einen die Aufgabe in so einem Moment doch sehr, nicht zuletzt aufgrund des implantierten DNF-Imperativs. Hätte gedacht, dass Honkong (in dem Fall: Sony und Oneplus) das mit der Interoperabilität hinkriegen. Lösung: Zukünftig wieder das kleine Thinkpad mitnehmen, um die Daten konventionell zu übertragen. Nichts geht über Qualität beim Material.

Fazit

Dem Lauf mangelt es im Vergleich zum klassischen StrongmanRun lediglich an Tageslicht. Ein crossiger Halbmarathon verteilt auf zwei Runden, jeweils mit 15 Hindernissen.Zu Beginn meist noch ganz harmlose Krabbeleien über Strohballen, wenig später anspruchsvollere Kletterpassagen an Übersee-Containern, gefolgt von tiefen Matschgruben die Überwindung, harte Knie und eine gute Schnürung am Schuh fordern. Steile Rutschen, kaltes Wasser, treibende Beats und eine überragende Kulisse und Stimmung und Erinnerungen, die einen noch lange nach dem Lauf begleiten. Immer mit dem Gedanken: Beim nächsten Mal noch härter. Dunkelheit und Location machen den StrongmanRun Ferropolis zu einem außergewöhnlich intensiven Element, atmosphärisch und sportlich.

Der Tag, die Nacht, das Team und der Track war einfach ein Traum. Und das lag eigentlich überhaupt nicht an der späten (Geister)Stunde, auch wenn ein Hindernislauf bei bislang Nacht einmalig ist. Hätte jemand im Jahr 2000 erklärt, dass in 15 Jahren tausende Läufer inmitten von wuchtiger Industriekultur durch die Dunkelheit laufen, das Bundesamt für Hindernislaufentwicklung hätte einen umgehenden Einweisungserlass ausgestellt.

Run Happy in Reinkultur.

Weitere Fotos

Folgen bis Mitte September. Gerade auch die Luftbilder hier in wesentlich höherer Auflösung…

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Foto
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Video: OMG!

 

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